Krisenintervention im Zeichen der Pandemie
München, 28. April 2021: Für die Einsatzkräfte des KIT-München ist der Ausnahmezustand Alltag: Bleiben körperlich unverletzte Menschen nach Unfällen, Gewalterfahrungen, Terror oder dem Verlust Angehöriger psychisch stark belastet zurück, leistet das Krisen-Interventions-Team (KIT-München) des ASB München/Oberbayern Erste Hilfe für die Psyche.
Der unerwartete Tod ist keine vernachlässigbare Größe. In Deutschland gibt es neben dem überraschenden natürlichen Tod zu Hause und zahlreichen Unfällen jährlich etwa 11.000 Suizide. Fast immer betrifft dieser Schritt eines Menschen Angehörige. Wenn etwa eine junge Mutter ihren Mann erhängt im Badezimmer vorfindet und den Notruf wählt, alarmiert die Leitstelle in München deshalb neben einem Rettungswagen auch das KIT-München des ASB. Dessen ehrenamtliche Einsatzkräfte sind für die Frau und ihre Kinder da, für die ab diesem Moment alle anders ist. Kann der Notarzt nichts mehr tun, fährt er zum nächsten Einsatz – die KITler bleiben.
Seit die Corona-Pandemie weite Bereiche des öffentlichen Lebens fest im Griff hat, wird die Arbeit des KIT-München jedoch deutlich erschwert. Einige MitarbeiterInnen in systemrelevanten Hauptberufen dürfen ihr Ehrenamt aufgrund der Infektionslage zeitweise nicht mehr ausüben. Für den Rest des Teams wird die Arbeit folglich mehr, die Maßnahmen gegen die Pandemie schränken seine Möglichkeiten zudem stark ein. Denn im Notfallkoffer der KITler ist nicht viel Equipment: zwei offene Ohren, ein Mund, seine Mimik.
Viel davon verschwindet derzeit unter FFP2-Masken und erschwert die emotionale Kontaktaufnahme zu fremden Personen. Ist der Verstorbene oder einer der Angehörigen Covid-positiv, ist sogar Krisenintervention unter Vollschutz angezeigt. Das bedeutet konkret: 3-fach Einweghandschuhe, Kittel, Überschuhe, Schutzbrille. Jedes dieser Hilfsmittel ist notwendig, jedes ist aber gleichzeitig ein Stück mehr Abstand und Anonymität - also das Gegenteil von dem, was gebraucht wird.
Jedes Jahr fährt das KIT-München circa 800 Einsätze, bei denen Menschen durch die Konfrontation mit dem plötzlichen Tod oder einem schweren Unfall stark belastet oder traumatisiert werden. Die Einsatzkräfte rücken an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr aus, um das Unfassbare zu verbalisieren, Betroffenen zuzuhören und ihnen zurück in die Handlungsfähigkeit zu helfen.
Auch ihre Hilfe bei Unfällen hat unter Corona-Bedingungen wesentliche Elemente verloren. Der dringendste Wunsch der Angehörigen ist es meist, ins Krankenhaus zu fahren und bei den Liebsten zu sein. Das KIT-München organisiert und begleitet das. Auch hier gibt es seit über einem Jahr Barrieren: In die Klinik dürfen Angehörige - je nach Infektionslage - gar nicht oder nur im Sterbeprozess. Eine wichtige Möglichkeit des Trostes für Verletzte und Angehörige entfällt.
Ein bedeutender Baustein in der Krisenintervention ist das persönliche Abschiednehmen vom Verstorbenen. Das Sehen und Anfassen des Verstorbenen, das sprichwörtliche Begreifen des Todes ist wichtig für den Trauer- und Verarbeitungsprozess. Auch vor der Pandemie war dies an der Einsatzstelle nicht immer möglich - fast immer aber war es nachholbar.
Covid-19 macht dies unmöglich. Ist ein Verstorbener Covid-positiv, wird der Leichnam vom Bestatter sofort isoliert, das letzte Wiedersehen bleibt verwehrt. Die Angehörigen bleiben somit unter Umständen mit den Bildern ihrer Phantasie zurück, die oft schlimmer sind als die Realität. Das KIT-München trägt dafür Sorge, dass sie damit zumindest nicht allein bleiben.
Menschen in den schlimmsten Momenten ihres Lebens zur Seite zu stehen, ist für die Ehrenamtlichen nicht nur eine sehr bewusste Entscheidung, sie erfordert auch ihrerseits Begleitung und eine fundierte Ausbildung. Vor dem ersten Dienst steht deshalb eine mindestens eineinhalbjährige Ausbildung in der Psychosozialen Notfallversorgung Betroffener (PSNV-B), die über die KIT-Akademie des ASB angeboten werden. Denn helfen kann nur, wer in seinem Handeln selbst sicher ist - das ist in Pandemie-Zeiten anspruchsvoller denn je.
Fakten:
Das KIT-München gehört zum gemeinnützigen Arbeiter-Samariter-Bund und ist im Alltag Teil des Rettungsdienstes. Es wurde im Jahr 1994 als das weltweit erste Kriseninterventionsteam gegründet. Seit 27 Jahren betreut das KIT-München jährlich ungefähr 2000 Betroffene psychosozial in akut traumatisierenden Situationen. Rund um die Uhr versehen die gut ausgebildeten Einsatzkräfte aus allen Hilfsorganisationen rein ehrenamtlich ihren Dienst, der für die Betroffenen kostenlos ist.
Zuschüsse der Landeshauptstadt München, des Landkreises München und Mitgliedsbeiträge des ASB setzen das finanzielle Grundgerüst. Doch erst mit Hilfe weiterer Unterstützung durch Spenden ist das KIT-München in der Lage, seinen Dienst und alle damit anfallenden Kosten (etwa für Einsatzfahrzeuge, Material und Ausstattung der Mitarbeiter, Aus-, Fortbildungen und Supervisionen) zu decken.
Für weitere Recherchen, Wortlaut- oder Hintergrundgespräche steht Ihnen Sebastian Hoppe, Leiter Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV), zur Verfügung. Gerne stellen wir Ihnen einen Kontakt her.
Spendenkonto:
IBAN DE66701500000043143999
Kennwort: KIT-München
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